Opas Mütze und Omas Kleid

Kaffeebesuch bei Opa und Oma. Anstatt nur über den digitalen Wandel zu reden, nehmen wir ihn in die Hand – in Form von alten Fotos. Geschichten von Fluchten, Omas Lieblingskleid und, natürlich, Strickmützen.

Oma hat die Wohnung umräumen lassen. Und dabei für mich auch ein wenig in alten Kisten gewühlt. Nach dem Kaffeetrinken wird für mich ein altes, ledernes Fotoalbum aufgeklappt. Oma will mir zeigen, wie es früher war. „Heute macht ihr eure Fotos ja alle digital. Da gibt es dann keine Fotoalben mehr“, sagt sie. Ich widerspreche: „Natürlich gibt es Fotoalben. Halt alle auf dem Computer. Dafür haben wir aber auch viel mehr Bilder und Chancen, jeden Schritt zu dokumentieren. Ihr musstet ja vermutlich oft Bilder wegwerfen. Sei es wegen einer Flucht oder weil es bei Umzügen zuviel Platz wegnahm. Wir müssen das nicht mehr!“. Opa schaut direkt schon wieder weiter in die Zukunft: „Für euch sind die digitalen Fotos gerade aktuell. Bei euren Kindern und Enkeln wird es dann vermutlich schon wieder was neueres geben und sie finden eure Digitalfotos gestrig.“ Kurze Pause. Dann: „Manchmal denke ich, es ist vielleicht nicht so gut, dass alles sich so schnell ändert. Aber da kann man ja nichts gegen machen.“ Danach wird geblättert.

Erstes_Bild
Oma:
Hier ist das erste Bild, das es von deinem Opa Gottfried gibt. Da wird er gerade getauft. 1929 oder 30 muss das gewesen sein.

Ich: Oha. So ein Bart wie Opas Vater da trägt, wäre heute ja undenkbar.

Oma: Damals war so ein Bärtchen ganz normal. Den hatten viele, nicht nur Hitler. Wobei er bei den meisten Leuten etwas länger und voller war.

Opa: Wart’s ab Charlotte, das kommt sicher auch irgendwann wieder. Die Menschen werden das nicht ewig mit Hitler verbinden.

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Oma:
Das war ich an meinem ersten Schultag. Da lebten wir noch in Schlesien, mein Vater war Beamter bei der Post.

Ich: Du siehst ähnlich aus, wie ich bei meiner Einschulung (Anm.: Rechtes Bild). Beide mit langen Zöpfen. Ich trage die Haare seitdem lang und überlege manchmal, sie abzuschneiden. Wann hast du dich dazu entschieden?

Oma: Das war eher ein „müssen“ als ein „wollen“. Nach der Flucht aus Schlesien, als wir dann schließlich in Westdeutschland lebten, sagte meine Mutter irgendwann „Wir haben nichts, um deine Haare zu pflegen. Die müssen ab“. Und so habe ich schweren Herzens auf sie gehört. Dabei waren die bei mir richtig lang. Bis zum Po. So weit hast du es ja nie geschafft.

Oma_Kleid

Oma: Das war dann schon in Melle, wo wir nach der Flucht lebten. Und wo ich deinen Opa kennengelernt habe.

Ich: Da trägt Du aber fesches Kleid. Das ist ja fast kniefrei!

Oma (lacht): Damit habe ich den ganzen Ort in Wallung gebracht. Aber nicht, weil es zu kurz war.

Ich: Sondern?

Oma: Das Kleid war in Wirklichkeit sehr bunt. Es kostete 40 Mark, das war sehr sehr viel Geld und wir Flüchtlinge konnten uns das eigentlich nicht leisten. Allerdings hatte ich nur ein Kleid damals, dass ich täglich tragen musste. Also hat meine Mutter das Geld investiert. Eines Tages sah die örtliche Pfarrersfrau mich in dem Kleid – sie war empört, denn sie hatte das Gleiche. Ihr Sohn hat mir später erzählt, wie seine Mutter nach Hause kam und ihr Kleid aus dem Schrank riss und darauf rumtrampelte. Dabei zeterte sie immer wieder „Ich trage nicht das gleiche Kleid wie dieses Flüchtlingsmädchen.“ Das hat sie dann tatsächlich nicht mehr getan. Sie konnte es sich, im Gegensatz zu mir, ja auch leisten. Das Kleid habe ich dann noch sehr lange getragen.

Opa_und_ich

Oma: Dieses Bild habe ich noch für dich rausgesucht, weil du ja meintest, es gibt so wenige Bilder von dir und Opa.

Ich: Die Mütze von Opa ist ja herrlich.

Oma: Das war eine der ersten Wendemützen, die ich gestrickt habe. Innen war sie dunkelblau, außen grau.

Opa: Und es folgten noch viele weitere!

Am Ende des Nachmittags beschließen wir, dass ich die alten Fotos mitnehmen und digitalisieren darf. „Damit die Erinnerungen nicht verloren gehen“, sagt Oma.
Auf „Digit“, einem für den Grimme Online Award nominierten Projekt des WDR, kann übrigens jeder alte Fotos digitalisieren und archivieren.

1 comment

  1. Wann geht es denn weiter hier mit Opa Gottfried ist online? Oder jetzt nur noch auf jetzt.de?
    Tolle Idee!

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